Der Rheinradweg, Tag 2 und 3: von Chur über Arbon nach Wiechs am Randen.
Der zweite Tag beginnt so, wie der Erste geendet hat: es regnet. Zum Glück ist es zu Beginn nur ein leichter Regen, der mich nicht daran hindert, die Felswand auf der anderen Rheinseite zu sehen. In Regenklamotten schwinge ich mich aufs Fahrrad und biege vom Rhein ab, um noch eine kurze Tour durch Chur zu unternehmen. Mir wurde von der schönen Altstadt vorgeschwärmt. Schmale,
verwinkelte Gassen, kleine Häuser mit Erkern – mir gefällt es hier. Bleiben will ich aber trotzdem nicht, denn der Rhein ruft. Ich verlasse die Altstadt und stoße nach wenigen Minuten wieder auf das altbekannte Schild mit dem Hinweis auf die Veloroute 2. Am Rhein entlang, oft nur von einer Baumreihe getrennt, fahre ich in Richtung Bodensee. Nach wenigen Kilometern kommt der nächste Schlenker. Da ich am Vortag geschummelt habe, will ich jetzt jeden Meter Rheinradweg mitnehmen und biege ins linksrheinische Weinanbaugebiet von Malans ab. Der Regen lässt nach, dafür erwartet mich eine kurze Steigung – aber der Schlenker belohnt mich mit
einem schönen Blick über das Rheintal. Bergspitzen sehe ich allerdings wie üblich nicht. Immer noch Nebel.
Wieder am Rhein zurück, folge ich zum ersten Mal dem Rheindamm, gut zu fahren und immer mit einem Blick auf den gurgelnden Fluss, liefere ich mir ein Wettrennen mit den Fluten. Erst auf der Höhe von Sarganz biege ich wieder ab. Die Stadt soll schön sein und liegt nur 3
Kilometer links vom Rhein. Der kurze Abstecher überzeugt mich nicht so, aber vielleicht hätte ich mir in Sarganz einfach mehr Zeit nehmen sollen. So habe ich zumindest die Chance, dort mit frischen Vorräten eine Mittagspause einzulegen.
Es geht weiter auf den Rheindamm, um die Anzahl der besuchten Länder in die Höhe zu treiben, wechsle ich zwischenzeitlich für 200 Meter die Rheinseite und besuche kurz
Vaduz in Liechtenstein. Okay, „besuche“ ist übertrieben – aufgrund der schwarzen Wolken, die sich schon wieder nähern, trete ich in die Pedale und fahre weiter. Der Regen erwischt mich ungünstigerweise bei einem weiteren Schlenker, der mich am Fuße der Berge lang führt. Ungünstigerweise, weil auf dem Weg Werdenberg, die kleinste Stadt der Schweiz mit ihren wunderschönen kleinen Holzhäusern liegt. Dieser Ort kommt mit auf die Liste der Orte, die ich in meinem Leben noch einmal bei gutem Wetter besuchen möchte.
Zurück auf dem Rheindamm zeichnet sich langsam das Wetter ab, welches ich mir erhofft habe. Die Wolken reißen endgültig auf. Nur in der Ferne, über dem Bodensee, liegt noch eine dunkle Wolke. Trotzdem geht das Fahren jetzt wie von selbst. Kurz vor dem Bodensee überschreite ich die nächste Landesgrenze und halte mich für einige Kilometer in Österreich auf. Ich ignoriere hier wieder einmal die Schilder des Rheinradwegs, denn ich möchte bis möglichst zur Mündung fahren. Die dunkle Wolke beim Bodensee ist inzwischen auch nach Osten weitergewandert, aber auf dem Weg zur Mündung hat sie eine kleine Pfütze hinterlassen. Mutig fahre ich in die Pfütze hinein. Sie wird tiefer und tiefer. Als ich (auf dem Fahrrad sitzend) bis zu den Unterschenkeln im Wasser stehe und noch einige Dutzend Meter bis zum Ende der Pfütze habe, entscheide ich mich dazu abzusteigen und das Fahrrad weiterzuschieben. Schließlich habe ich die Pfütze hinter mir. Ich kontrolliere panisch mein Gepäck. Aber die Panik ist umsonst.
Meine Ortlieb-Taschen, die bis zur Hälfte im Wasser lagen, haben perfekt dicht gehalten. Ich rolle gemütlich noch einige Hundert Meter weiter, entschließe mich dann aber dazu, über den (hier holprigen, aber trockenen) Damm zum Radweg zurückzukehren.
Die nächsten 40 Kilometer bieten mir immer wieder schöne Blicke auf die alte Rheinmündung und auf den Bodensee, bis ich schließlich in der Nähe von Arbon auf einem Campingplatz direkt am Bodensee mein Zelt aufschlage.
„Nimm einen der Plätze abseits des Wassers. Die anderen Plätze sind zu feucht“, sagt der Betreiber des Campingplatzes zu mir. Er hat Recht. Ich watschele durchs nasse Gras und finde nach längerem Suchen einen Platz, der trocken aussieht. Als mein Zelt steht, ist es zum Abendessen zu spät. Ich esse noch zwei belegte Brötchen aus Chur, die ich noch in der Tasche hatte und trinke mir ein Bier. Dann sitze ich mit den Füßen im Wasser baumelnd am Ufer des Bodensees. Mein Handy zeigt mir das heimische Handynetz an, denn auf der anderen Seite des Bodensees ist Deutschland, so dass ich ohne horrende Kosten noch Zuhause anrufen kann. Der Tag geht zu Ende – und die erste Nacht im „eigenen Zelt“ beginnt.
Am nächsten Morgen ist es trocken – das perfekte Wetter zum Fahrradfahren. Ich nehme mir auch vor, dieses Mal durch keine Pfütze zu fahren.
Schnell ist das Zelt verpackt und die Taschen am Fahrrad angebracht. Mein erstes Ziel heute ist das gut 30 Kilometer entfernte Konstanz. Der Weg dorthin führt mich am Südufer des Bodensees entlang. Tagesziel ist jedoch das kleine Dorf Wiechs am Randen in der Nähe von Schaffhausen. In der dortigen Rabenscheune wollte ich bei einem Freund übernachten.
In der Nähe von Romanshorn befürchte ich kurz, ich hätte mich verfahren. Vom Wegesrand schauen mich Alpakas an. Meine Navi bestätigt mir allerdings, dass ich mich nicht in Südamerika befinde. Bedingt durch den Bodensee ist der Radweg größtenteils flach, so dass ich gut vorankomme. In Uttwil, einem kleinen Dorf direkt am Ufer, lege ich eine kurze Pause am Steg ein. Der Blick auf den Bodensee bei gutem Wetter entschädigt für die beiden letzten Tage.
Gerne würde ich länger auf dem Steg liegen bleiben, aber Konstanz ruft. Wieder einmal unbemerkt überfahre ich zwischen Kreuzlingen und Konstanz, an einem Bahnübergang, die Grenze und stehe plötzlich wieder in Deutschland – und im Großstadt-Getümmel. Ich nehme mir in Konstanz ein wenig Zeit. Sightseeing ist mit einem vollbepackten Fahrrad zwar schlecht, aber ich kann ja mein Fahrrad immerhin gemütlich durch die Niederburg (die südlich vom Rhein gelegene Altstadt von Konstanz) schieben und die engen Gassen und kleinen Häuser bestaunen.
Auf der anderen Seite des Rheins stoße ich das erste Mal auf meiner Tour auf das blaue Hinweisschild mit der Europaflagge und der Zahl „15“ – dem Hinweisschild auf die Euroroute 15, wie der Rheinradweg in Deutschland heißt. Ich folge nun für einige Kilometer der Euroroute 15, biege aber nach kurzer Zeit auf den Damm zur Insel Reichenau ab. Ich rechne mit einer flachen Insel und habe plötzlich einen Hügel vor mit – Reichenau steigt vom Ufer zur Mitte um gut 30 Meter an. Ich grinse, denke an den Anstieg zum Oberalpsee und fahre munter zwischen den Weinbergen auf der Insel bergan. Zu dem Zeitpunkt ahne ich nicht, was für ein „Hügel“ am Abend noch auf mich zukommen würde.
Am Südufer der Insel setze ich mit der dortigen Solarfähre wieder auf das Schweizer Ufer über und fahre durch kleine, malerische Dörfer mit rotem
Fachwerk weiter. Rechts von mir liegt wieder der Rhein, denn der Bodensee liegt nun hinter mir. Auch Stein am Rhein lädt mich zu einer kurzen Besichtigung ein. Die bunt bemalten Häuser am Marktplatz sind allerdings wegen eines Freilicht-Theaters derzeit nur schlecht zu sehen.
Auf den folgenden 15 Kilometern verliere ich irgendwann die Orientierung. Bin ich jetzt in der Schweiz oder in Deutschland.
4 Grenzübertritte innerhalb von 45 Minuten – komplett verunsichert werde ich dann in der deutschen Enklave Büsingen. Ich kaufe mir was zu trinken, zücke meine Euros – und die Bedienung sagt „Das mach 3 Franken.“ Okay, auch gut.
Kurz danach gelange ich nach Schaffhausen, die Stadt mit dem größten Fremdenverkehrs-Marketing-Trick der Geschichte. Alle Welt spricht vom „Rheinfall von Schaffhausen“. Dabei ist weit und breit kein Rheinfall zu sehen. Der liegt erst hinter den nächsten beiden Flussbiegungen und erwartet mich am nächsten Tag. Heute biege ich in Richtung Norden ab. Es sind noch gute 15 Kilometer bis zu meinem Ziel, der Rabenscheune. Sollte kein größeres Problem sein. Leider geht es jetzt wieder bergauf, in das von drei Seiten von der Schweiz eingeschlossene Dorf. Die letzten 3 Kilometer schiebe ich. Eine Steigung von gut 15 % muss ich vollbepackt nicht auf dem Fahrrad zurücklegen.
Erschöpft komme ich an der Rabenscheune an, wo schon Andreas mit einem kalten Weizenbier auf mich wartet. Andreas und seiner Frau gehört die Rabenscheune – ein kleines aber feines Ausflugsziel: eine Pension, eine kleine Gaststätte, feine Spezialitäten, Alpakawolle und ein schöner Blick über die hauseigene Alpakawiese ins Tal entschädigt für den Anstieg. Gemeinsam lassen wir den 3. Tag bei einem leckerem Weizenbier und selbstgemachten Flammkuchen ausklingen.