Kirgistan – Unterwegs im Land der Berge, Pferde und grenzenlosen Möglichkeiten

Müsste ich eine Prognose abgeben, welches Land in den kommenden Jahren einen sicheren Platz in der Liste der weltweiten Trend-Destinationen einnehmen wird, so würde ich ohne zu zögern Kirgistan nennen.

Sieht man mal von der fehlenden Küste ab, hat das Land alles zu bieten, was der moderne Abenteurer sucht. Auf einer Fläche von knapp 200.000 km² erstreckt sich eine unglaubliche Vielfalt an verschiedensten Landschaften. Die weiten Hochsteppen werden fast überall von den Gipfeln des Tien Shan- oder des Pamir-Gebirges, im Süden des Landes, eingerahmt. Mehrere Gipfel überragen die 7000-Meter-Marke. Der Höchste von ihnen, der Dschengisch Tschokusu blickt mit seinen 7439 Metern auf die chinesischen Nachbarn herab. Im Osten setzt sich das Tien Shan Gebirge bis in die Mitte Chinas fort, im Süden beginnt recht bald das Tarimbecken, in dem sich die Taklamakan Wüste ausbreitet. Alleine bei der Benennung dieser geographischen Besonderheiten schlägt mein Herz höher, waren es doch immer schon die extrem abgelegenen Regionen dieser Erde, die mich besonders fasziniert haben. Aber nicht genug, auch die Aufzählung der Nachbarländer hat es in sich. Im Norden das riesige Kasachstan, Usbekistan im Westen, im Süden Tadschikistan und zuletzt China. Man liest vom Pamir Highway, blickt auf die Karte und verliert sich mitten im Nirgendwo der namenlosen Täler. Die Stadt Osch, Startpunkt der 1252 km langen Strecke, war schon vor 2000 Jahren ein wichtiges Handelszentrum an der Seidenstraße. Von großer Bedeutung für den Handel ist Osch auch heute noch. Nach Einschätzungen der UN ist die Stadt einer der Hauptumschlagsplätze für Drogen in Asien.

Das kontinentale Klima führt zu kalten Wintern und warmen Sommern, und, bedingt durch die hohen Berge, zu einer einzigartigen Abfolge an vertikalen Landschafts- und Vegetationszonen. Die trockenen Halbwüsten der Tieflagen werden mit zunehmender Höhe von weiten Grassteppen abgelöst, die von den Nomaden als Weidegründe genutzt werden. Darüber folgen Gebirgswälder, durch deren Erscheinung man sich eher in die kanadischen Rockies versetzt fühlt. Übersteigt man die Baumgrenze, findet man sich in einer vergletscherten Hochgebirgslandschaft wieder.

Kirgistan gehörte bis 1991 zur Sowjetunion und noch heute ist Russisch neben Kirgisisch die zweite Amtssprache. Die Russen selbst gehören zu einer Minderheit mit einem Bevölkerungsanteil von 12,5 %. Im Gegensatz zu den meisten Nachbarländern dürfen EU-Bürger seit 2012 ohne Visum in das Land einreisen. Für die Tourismusindustrie ein Segen, da dieser Wirtschaftszweig nun Anschluss an die weltweite Wachstumsbranche hat. Neue Impulse sind für die Wirtschaft dringend notwendig, da das Land sich von dem Zusammenbruch der Sowjetunion, und der damit einhergehenden Wirtschaftskrise, nie mehr wirklich erholt hat. Der Tourismus entwickelt sich seither stetig, bisher zwar nur durch Besucher aus den Nachbarländern, aber auch die Zahl internationaler Besucher steigt seit ein paar Jahren an.

Ich selbst war noch nie zuvor in Kirgistan oder in den zentralasiatischen Nachbarländern. Durch ein paar „Begegnungen“ hatte sich dieses Fleckchen Erde jedoch in mein Notizbuch geschlichen, so dass wir uns im April 2019 kurzerhand für eine Erkundungsexpedition im folgenden September entschieden. Noch vor Beginn der eigentlichen Tourplanung ist mir eines klar, ich will so tief wie möglich in dieses Gebirge vordringen, um wenigstens einen dieser zahlreichen nahezu unbekannten Gipfel zu Gesicht bekommen. Da mich Gletscher immer schon fasziniert haben, fällt mein Blick schnell auf den westlichen Teil des Tien Shan. Sofort fallen die weißgrauen Zungen des nördlichen und südlichen Engiltschek Gletschers auf, welche die Täler ausgehend vom Dschengisch Tschokusu und Khan Tengri auf einer Länge von 60 km vollständig ausfüllen. Diese Tatsache offenbart aber auch gleich ein erstes Problem. Um wirklich nah zum höchsten Berge Kirgistans vorzudringen, muss man höchstwahrscheinlich mehrere Tage Fußmarsch über und durch Moränematerial in Kauf nehmen. Dieses durch den Gletscher transportierte und abgelagerte Gesteinsmaterial, welches nicht nur auf oder neben dem Gletscher, sondern auch im Gletschervorfeld den Untergrund bestimmt, ist wirklich nichts, was man für mehrere Tage unter den Füßen haben möchte. Wahrscheinlich auch deshalb werden hier Bergsteiger in der Regel mit dem Helikopter ins Basislager geflogen.

Wir entscheiden uns deshalb gegen den Osten des Tien Shan und planen eine Tour in die Berge südlich von Karakol. Auch wenn die höchsten Gipfel hier nur die 5000 Meter Marke überschreiten, haben die steilen Gebirgstäler ihren eigenen Reiz. Die Baumgrenze liegt hier bei ca. 4000 Metern, immerhin 2000 Meter höher als im Schnitt in den Alpen. Auch wenn die Winter hier deutlich kälter sind, sind für die Bäume die Temperaturen während der Vegetationsperiode, also während des Sommers, ausschlaggebend. Und genau diese günstigen klimatischen Bedingungen der Sommermonate führen dazu, dass wir unser Basislager auf 3000 Metern mitten zwischen riesengroßen, schlanken Tien-Shan-Fichten aufstellen.

Um hierher zu kommen entscheiden wir uns für den einfachen „russischen“ Weg, den uns unser Fahrer Vladimir organisiert. Ein GAZ 66 soll uns über den sonst unpassierbaren Gebirgsweg bis zu unserem Basislager fahren und nach vier Nächten wieder abholen. Die 100 $ lohnen sich. Nicht nur, dass wir sicher an unserem Ziel ankommen, wir bekommen zudem eine der wahrscheinlich abenteuerlichsten Autofahrten unseres Lebens geboten. Noch nicht wirklich geklärt ist allerdings, wo wir uns wieder abholen lassen. Unser Plan, einen 4400 Meter hohen Pass in ein anderes Tal zu überqueren, ist durch den ersten Schneefall ins Wanken geraten. Wir können nur abschätzen wieviel Schnee dort oben gefallen ist, die Rede ist von einem halben Meter. Wir halten an einem Expeditionscamp, welches gerade abgebaut wird und fragen einen der russischen Mitarbeiter. Was folgt ist eine Aneinanderreihung von zahlreichen russischen Schimpfwörtern, die unser Dolmetscher nur mit einem „Das muss ich jetzt nicht übersetzen“ kommentiert. Der hinkende Mann vor uns offenbart uns seinen völlig vernarbten Unterschenkel und sagt Dinge wie: „Wenn du neun Leben hast wie eine Katze, dann kannst du gerne da hoch gehen“. Der Mann verabschiedet sich, nimmt seinen Hut ab und zeigt auf die wulstigen vernarbten Dellen in seinem Schädel. „Der Kopf ist zum Denken da, und nicht für sowas. Ich geh da nicht mehr hoch.“ Das war Klartext.

Was folgt ist zwar nicht der geplante Übergang, dafür aber die wahrscheinlich entspanntesten Tage des vergangenen Jahres. Wir zelten in einer malerischen Gebirgslandschaft am Rande eines kleinen Flusses. Um uns herum der Bergwald, und diese unglaublich steilen Berghänge. Keine Autos, kein Handyempfang, nur ein paar weidende Kühe und eine Gruppe Wanderer erinnern uns daran, dass tief unten im Tal die Zivilisation auf uns wartet. Wir sitzen am Feuer, reden, erkunden die Umgebung und bestaunen den Sternenhimmel. Kaum zu glauben wie wenig man manchmal braucht, um wirklich glücklich zu sein. Für eine Nacht entscheiden wir uns trotzdem das Camp oberhalb der Baumgrenze, in Blickweite des Peak Karakol aufzuschlagen. Der Berg ist mit seinen 5282 Metern in dieser Region wirklich kein Riese, seine fast vollständig vergletscherte Nordseite ist aber unglaublich imposant und taucht vollkommen unerwartet aus der recht vegetationsreichen und grünen Landschaft auf.

Geologisch gesehen steht das Tien Shan in Verbindung mit dem Himalaya. Wer sich Karten der Erde während des Mesozoikums, also dem Erdmittelalter vor ca. 200 Millionen Jahren anschaut, sieht deutlich, dass sich das heutige Indien noch irgendwo mitten im indischen Ozean befindet. Die indische Platte legte dabei (immer aus geologischer Perspektive) eine enorme Geschwindigkeit von 15-20 cm pro Jahr hin und stieß dann vor ca. 40 bis 50 Millionen Jahren mit der eurasischen Platte zusammen. Dieser Zusammenstoß führte zur Auffaltung des heutigen Himalayas, mit ebenfalls beachtlichen vertikalen Hebungsraten von bis zu 10 mm pro Jahr, die bis heute andauern. An dieser Stelle möchte ich eine kurze Milchmädchenrechnung anstellen, die das Verständnis von Gebirgsbildungsprozessen etwas erweitern soll. Eine Anhebung von „nur“ 5 mm pro Jahr erscheint zunächst unglaublich wenig, vor allem wenn man berücksichtigt, dass die höchsten Berge der Welt mehr als 8000 Meter über dem Meeresspiegel liegen. Gehen wir aber davon aus, dass der Himalaya seit 40 Millionen Jahren um ca. 5 mm pro Jahr in die Höhe steigt, führt dies zu einer Gesamthebung von 200 km (!). Dieser abrupte Perspektivwechsel wirft schlagartig die Frage auf, wieso die Berge nur so klein, und vor allem, wo die fehlenden 191 km hin verschwunden sind. Selbst für die Alpen ergibt sich, bei einer Hebungsrate von 1 mm pro Jahr in nur 25 Millionen Jahren, ein enormes Defizit von ca. 20 km.

Hierzu ein kleines Experiment. Wir setzen uns in den Sandkasten und schieben mit unseren Händen langsam den Sand von uns weg. Der immer größer werdende Sandberg der dabei entsteht wächst keinesfalls kontinuierlich an. Stetig rieselt Sand von oben nach unten. Unser Gebirge erodiert schon während seiner Entstehung. Und so ist es auch in der Natur. Hebung und Abtragung finden nie getrennt voneinander statt, sondern immer kontinuierlich miteinander. Im Vorland der entstehenden Gebirge lagert sich das erodierte Material in riesigen Sedimentformationen ab. Alleine im Alpenvorland ist dieser Abtragungsschutt bis zu 5 km mächtig. Im Tien Shan Gebirge sind diese Ablagerungen mehr als doppelt so dick. Zusätzlich schwimmt die Kruste unseres Planeten auf einem teilweise flüssigen Mantel. Verdickt sich die Kruste durch ein Übereinanderschieben zweier Kontinentalplatten (wie im Fall von Indien und Eurasien), sinkt sie gleichzeitig weiter in den flüssigen Mantel ein. Gleiches gilt für den Abtragungsschutt. Das Gewicht des erodierten Materials drückt auch im Vorland die Erdkruste immer weiter nach unten. Das Tien Shan ist das nördlichste Ergebnis dieser geologischen Geschichte, bevor die Landschaft jenseits der Grenze nach Kasachstan deutlich flacher wird.

Pünktlich werden wir von unseren zwei russischen Fahrern wieder abgeholt, und müssen widerwillig dieses friedliche Tal verlassen. Die frische Luft der Berge, und die angenehme Kühle weichen mit abnehmender Höhe einer trockenen Wärme, so dass wir uns einen Tag später badend an einem Sandstrand des Yssyk Köl wiederfinden. Der See, dessen Name übersetzt „heißer See“ bedeutet, ist nach dem Titicacasee der zweitgrößte Gebirgssee der Erde und wird nicht umsonst als das Meer Zentralasiens bezeichnet. Mit einer maximalen Tiefe von 668 Metern ist er jedoch deutlich tiefer als sein südamerikanisches Pendant. Die Russen nutzten den See zu Zeiten der Sowjetunion zum Testen von Torpedos und – gegensätzlicher könnte es kaum sein – als Reiseziel für den sommerlichen Badeurlaub. Heute ist der See immer noch ein beliebtes Reiseziel, größtenteils für Touristen aus Russland und Kasachstan. Auch jetzt im September hat das Wasser noch eine Temperatur von knapp 20 Grad. Wir liegen an einem Sandstrand, die Sonne scheint und wir können auf die verschneiten Berggipfel der anderen Uferseite blicken. Dieser Badeausflug, und die Fahrt entlang der „Küste“, erinnern mich zunehmend an eine Reise ans Mittelmeer. Was mich aber gänzlich durcheinanderbringt ist aber dieses unglaublich kristallklare Wasser. Selbst bei zehn Metern Wasser unter mir kann ich den Grund noch problemlos erkennen.

Wir fahren wieder in Richtung Westen zum Song Köl, dem zweitgrößten See des Landes. Der See selbst befindet sich in 3016 Metern Höhe und liegt mitten in der weiten und hügelig anmutenden Hochgebirgs-Steppe. Die riesigen Flächen um den See selbst sind gänzlich flach. Diese weite mit Gras bewachsene Landschaft ist die Heimat der zentralasiatischen Nomaden. Ob hier in Kirgistan, im benachbarten Kasachstan oder der Mongolei, die Grassteppen dieser Regionen dienen den Nomaden seit Jahrhunderten als Weideland für ihre Tiere, meist Pferde und Schafe ab und zu auch Yaks. Die Hochgebirgsweiden werden, aufgrund des Schnees und der tiefen Temperaturen aber nur im Sommer genutzt. Im Frühsommer befindet sich dann das ganze Land im Aufbruch. Überall werden die Tiere aus ihren Winterlagern auf die Hochflächen getrieben, da die Täler nicht mehr genügend Nahrung bieten. Die Besitzer verlagern ebenfalls ihren Lebensmittelpunkt und bleiben bei ihren Tieren. Als traditionelle Sommerbehausung dient die aus einem Holzgestell und Filz hergestellte Jurte. Auch wir nehmen diese Bewegungen im gesamten Land wahr, allerdings in die andere Richtung. Auf jeder Straße beobachten wir riesengroße Schaf- und Pferdeherden, die bergab in ihre Winterlager getrieben werden. Ein sicheres Zeichen für den nahenden Winter.

Die Fahrt zum Song Köl ist mühsam und die Aussage unseres Fahrers Vladimir bezeichnet den Zustand des Weges am Besten: „Das ist keine Straße, sondern eine Richtung“ sagt er, als wir ihn fragen ob wir uns durch das Gerüttel weiter auf einen nachhaltigen Rückenschaden zubewegen. In der Dunkelheit erreichen wir das Ufer des Sees, und ein Teil von uns beschließt den Sternenhimmel auf dem Dach unseres Gefährts mit in den Schlaf zu nehmen.

Es sind die letzten drei Tage in Kirgistan, die wir hier oben in der weiten, baumlosen Gebirgslandschaft verbringen, und wir alle scheinen die Ruhe hier oben in vollen Zügen zu genießen. Die meisten Jurtencamps sind bereits abgebaut und man sieht nur noch vereinzelt die weißgrauen Pünktchen der Sommercamps in der sonst durchweg grünen Landschaft. Tagsüber scheint die Sonne, und es weht ein beständiger Wind, während die Nächte schon empfindlich kalt werden. Wir sind noch in einem der letzten Camps untergekommen, welches sich einen verhältnismäßig großen Bonus durch das Geschäft mit den Touristen verdient. Auf der Südseite des Sees bekamen wir andere Camps zu sehen, die derweil vollständig auf den Tourismus umgesattelt haben. Der Unterschied ist unschwer an der Anzahl der Jurten zu erkennen, und auch die geometrisch ausgerichtete Stellung der einzelnen Herbergen erinnert mich mit Schrecken an die Holzhütten auf südfranzösischen Campingplätzen. Das selbst unsere Unterkunft einen Facebook-Auftritt besitzt überrascht mich dann auch nicht mehr. Trotzdem habe ich hier oben, und auch während der gesamten Tour, nicht einmal dein Eindruck gehabt, eine touristische Fassade präsentiert zu bekommen. Natürlich sind wir Touristen, dennoch fühlen wir uns wie Gäste, die als Geschenk einen tiefen und ehrlichen Einblick in das Leben und die Seele der Menschen bekommen. Immer freundlich und offen werden wir begrüßt, und wir empfinden keinerlei Scham für unsere Rolle. Scham wie man ihn immer häufiger fühlt, wenn man im Ausland aufgesetzte Folklore vorgesetzt bekommt, die rein gar nichts mehr mit dem eigentlichen Leben der Menschen vor Ort zu tun hat. „Authentisch“ heißt das Schimpfort, mit dem man weltweit immer häufiger genau das Gegenteil präsentiert und verkauft bekommt. Zwar halten wir „Individualreisenden“ uns größtenteils von diesen Angeboten fern, schaut aber gerne mal in einen beliebigen Pauschalreisekatalog von Afrika oder Asien. Hier in Kirgistan finde ich diese Form von Folklore allerdings nicht. Die Menschen, denen wir hier begegnen sind authentisch, gerade weil sie nicht versuchen es zu sein. Und wir geben diese Ehrlichkeit zurück, indem wir ehrliche Touristen sind, neugierig, teilweise naiv, interessiert an allem was wir nicht kennen. Ein Reisen auf Augenhöhe, wo Tourismus sich noch gut anfühlt.

So könnte es weitergehen, wären da nicht jetzt schon die Vorboten einer Entwicklung, die man bereits in vielen Ländern beobachten konnte, die vom Boom des Tourismus seit den neunziger Jahren profitiert haben. Länder in denen jetzt die nachfolgende Generation den Verlust der kulturellen Identität und des naturräumlichen Erbes beklagt. Nie werden in diesem Land Hotelburgen nach spanischem Vorbild entstehen, und für Kreuzfahrttourismus fehlt schlichtweg die Nähe zum Meer. Trotzdem fallen mir im Jyrgalan Tal unweigerlich die tiefen Erosionsrinnen ins Auge. Eine Folge des Pferdetrekking Tourismus, der die jährliche Besucherzahl in nur 5 Jahren von nahezu 0 auf über 5000 hat ansteigen lassen. Die Natur ist hier schon jetzt empfindlich gestört und es ist nur eine Frage der Zeit bis die Erosion sich selbst verstärken wird. Es scheint paradox, trotzdem über dieses Land zu schreiben, und durch solch einen Artikel quasi selbst dazu beizutragen, dass sich die angesprochenen Entwicklungen beschleunigen. Aber ernsthaft, ich bin nicht der erste, der erkannt hat, welches unglaubliche Potential dieses traumhaft schöne Land besitzt. Es wie einen guten Secret-Surfspot geheim zu halten, oder gar mit erhobenem Zeigefinger den Verzicht auf das Reisen zu predigen war meiner Ansicht nach nie wirklich sinnvoll. Tourismus, die Globalisierung und nicht zuletzt der Klimawandel werden die über Jahrhunderte gewachsenen kulturellen, wirtschaftlichen und naturräumlichen Strukturen gänzlich verändern, überall, unaufhaltsam, mal langsamer, mal schneller. Aufhalten können wir diese Prozesse nicht. Wir können und sollten uns jedoch als Reisende zunehmend fragen, wie wir diese Prozesse mit beeinflussen oder gestalten möchten.

Bei einer Exkursion in den Alpen hat mich einmal einer meiner Studenten gefragt, warum ich denn so negativ über den Verlust der Almwirtschaft sprechen würde. Schließlich seien Kulturen immer gekommen und wieder verschwunden. Das sei vollkommen normal und keineswegs bedauerlich. Meiner Meinung nach geht es tatsächlich nicht darum sich zwanghaft an eine Tradition zu klammern, während die Welt sich zunehmend verändert (diesen oft völlig schwachsinnigen Trend beobachten wir ja auch in der politischen Diskussion). Bevor man aber eine Form der Landnutzung durch eine andere austauscht, sollte man aber unbedingt die Frage danach stellen, warum eine Kulturform so viele Jahrhunderte überdauert hat. Dies gilt für die Almwirtschaft in den Alpen mindestens genauso wie für das Nomadentum in Zentralasien. Die Antwort ist recht einfach. Die Menschen haben sich an einem Wert orientiert, der heute schon fast wieder zu einer Floskel verkommen ist, aber dessen Bedeutung mehr denn je ins Zentrum unseres alltäglichen Handelns gerückt werden sollte. Nachhaltigkeit! Nur weil die Menschen ihr Land nachhaltig genutzt haben, waren sie in der Lage dies über Jahrhunderte hinweg zu tun. Für mich liegt der eigentliche Wert einer Kultur nicht in der Folklore, sondern in der Art und Weise wie die Menschen in der Lage waren, ihr Land über mehrere Generationen zu nutzen, ohne dass sie diese dabei zerstört haben. Auch Tourismus muss wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltig sein und es ist an der Zeit, dass wir mehr darüber sprechen.

Während unseres Rückweges nach Bischkek begegnen wir weiteren Nomaden-Treks, die sich langsam, aber zielstrebig bergab bewegen. Die Kirgisen sitzen wie immer sicher auf dem Rücken ihrer Pferde, ihrem einzigen Fortbewegungsmittel während der Zeit in den Steppen. Es klingt ein wenig kitschig, wenn man daran denkt, was die Kirgisen über sich und die Pferde sagen. Es heißt: Wenn ein Kirgise reitet gleicht er einem Adler. Das Pferd sind seine Flügel. Ich hoffe wir werden noch lange die Ehre haben, diese stolzen Adler über die Steppe fliegen zu sehen.

Von André Baumeister

Vielen lieben Dank an André Baumeister für Text & Fotos und framsciencetravel.de.

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