Bei einer gemeinsamen Winterwanderung durch die Egge entstand die Idee einer Trekkingtour durch Norwegen. Von einem unserer Kollegen bekamen wir die Empfehlung den Hardangervidda Nationalpark als Reiseziel zu wählen. Durch vorherige Touren war uns klar, dass es eine Reise mit Zelt werden sollte. Auf Grund der Urlaubsplanungen kam nur ein Zeitfenster Anfang September in Frage. Erster Recherchen ergaben, dass Zelttrekkingtouren nur bis Ende August auf Grund der Witterungsverhältnisse empfohlen werden. Im Vertrauen auf unsere Ausrüstung und wegen des warmen Sommers entschieden wir uns es trotzdem zu wagen. Wir rechneten mit nächtlichen Temperaturen leicht unterhalb des Gefrierpunkts und passten die Auswahl unseres Equipments dahingehend an.
Mit vollgepackten Rucksäcken beginnt so unsere Reise am Freitag den 31.08. am Paderborner Hauptbahnhof. Beim Fahrkartenkauf kommt uns die erste Erkenntnis des Tages: Ein Führerschein sieht einem Personalausweis beim Packen zum Verwechseln ähnlich. Zweite Erkenntnis: Gegen 8€ Gebühr kann man sich bei der Bundespolizei am Flughafen einen provisorischen Reisepass ausstellen lassen, welcher von den meisten Ländern der EU als Reisedokument akzeptiert wird. So können wir reibungslos Richtung Oslo starten. Am Flughafen angekommen geht es weiter via Bus zum Busbahnhof in der Innenstadt. Hier zeigt sich bereits, wie wichtig in Norwegen der Besitz einer Kreditkarte ist, da sie das einzig mögliche Zahlungsmittel zum Erwerb der Fahrkarten ist. Wer zuverlässig weiß, welche Verbindung erreichbar ist, sollte hier online buchen. Dies kam für uns auf Grund der äußerst knappen Umsteigzeiten nicht in Frage, sodass wir vor Ort die etwas teureren Tickets lösen müssen. Von hier geht es mit dem Haukeliekspressen nach Haukeliseter, dem Ausgangspunkt unserer Tour. Nach ca. 5 Stunden Busfahrt durch die Nacht kommen wir um 4Uhr morgens bei lauwarmen 3° Celsius an. Hierzu sei vielleicht zu erwähnen, dass der Paderborner Spätsommer uns noch am Vortag mit 28° C zu verwöhnen wusste und uns deshalb eine gefühlte Temperatur von -10° C entgegenschlägt. Schnell werden die Rucksäcke geöffnet und alles Isolierende übergestreift. Ein erster Überblick ergibt, dass Haukeliseter tatsächlich nur eine kleine Ansammlung aus wenigen Hütten ist, wovon nur eine ein für Touristen öffentlich zugängliches Café mit kleinem Wandershop beherbergt. Leider ist auch dieses um 4Uhr morgens geschlossen. Im Vorfeld entschieden wir uns ob der Zuverlässigkeit und Effizienz für einen benzinbetriebenen Kocher. Benzin jedoch ist ein nicht gern gesehener Fluggast, wodurch wir vor Ort warten müssen, um uns auszustatten. Die Verfügbarkeit ließ sich hier problemlos vorher telefonisch erfragen. Unsere Rettung bis zur Öffnungszeit ab 8Uhr ist der kleine Windfang des Cafés, in dem wir zusammengekauert zu zweit immerhin nicht in der größten Kälte ausgesetzt sind.
Mit Brennstoff im Gepäck und einem extrem starken Kaffee im Leib hält der Nationalpark eine erste Überraschung für uns bereit. In der belebten Hauptstadt eingestiegen, durch die pechschwarze Nacht hindurch gefahren, in ebenso gefühlt absoluter Dunkelheit angekommen, ist der Sonnenaufgang über dem direkt angrenzenden See vor einem Bergpanorama genau das Richtige für unsere Motivation. Der Nationalpark Hardangervidda befindet sich zu großen Teilen auf einem Hochplateau, so ist es nicht überraschend, dass unsere Tour mit einem sportlichen Anstieg durch einen Bachlauf startet. Auf dem Plateau angekommen sind wir absolut überwältigt von dem sich uns bietenden Anblick. Der Blick nach vorne ist geprägt von einer ausgeprägten Heidelandschaft die sich teils trocken, teils morastig zwischen großen Erhebungen hindurchschlängelt. Immer wieder unterbrochen von mal kleineren und mal größeren Bachläufen und Seen. Durch die Wartezeit auf unseren Brennstoff entschieden wir uns das Frühstück etwas später am Tag einzunehmen. Hierzu kommt uns ein Bachlauf mit einem großen Pausenfelsen sehr gelegen. Frisch gestärkt passieren wir einige Schafe mit Weideglocken während wir den ersten wirklich steilen Anstieg bewältigen. Die Passage führt uns hinauf zu den ersten Schneefeldern in der Ferne sowie deren Ausläufern links und rechts des Weges. Mit jedem weiteren Schritt wird das Gelände anspruchsvoller und wir dankbarer, uns für solide Trekkingstöcke entschieden zu haben. Ein Blick auf unser Navigationsgerät bringt uns erste Ernüchterung. Durch das anspruchsvolle Gelände und unseren Schlafmangel kommen wir deutlich langsamer voran als gewohnt. Bis zu diesem Zeitpunkt, ca. 8 km von Haukeliseter entfernt, kommen uns noch vereinzelt Tagestourengeher entgegen, dies ändert sich, je weiter wir uns von unserem Startpunkt entfernen. Nach der Querung des ersten kleineren Flusses geht es entlang eines großen Sees hinauf auf einen Bergpass. Der Weg ist durch kleine Steinmänner und rote „T“ markiert, die uns ab jetzt begleiten werden. Oben angekommen eröffnet sich uns ein atemberaubender Blick in ein weites Tal mit vielen Seen schroffen Felskanten und Erhebungen. Im Windschatten eines Felsens schlagen wir unser Lager für die Mittagszeit auf. Kurz nachdem wir uns wieder auf den Weg machen begegnen wir einer Gruppe rastender junger Männer. Ebenso wie wir haben sie eine Zelttour durch den Nationalpark geplant. Nach kurzem Austausch geht es auf einem gut ausgetretenen Wanderweg weiter. Ein entgegenkommender Norweger macht uns höflich darauf aufmerksam, dass es letzte Nacht noch geschneit hat. Gegen 17 Uhr erreichen wir einen geeigneten Lagerplatz um unser Zelt aufzuschlagen. Eine kleine Anhöhe zwischen zwei Seen gelegen bietet alles was wir für ein Nachtlager brauchen. Ein großer Vorteil des vielen Wassers ist, dass man sich wirklich keine Gedanken über Trinkwasser machen muss, ein großer Nachteil ist, dass wir in einer Wolkenwand aufgewacht sind und durchgehend mit der Trocknung unserer Ausrüstung kämpfen mussten. Zum Trinkwasser sei noch gesagt, dass es im Nationalpark zwar großflächig als trinkbar gilt, wir uns aber auf Grund der vielen Schafe und deren Hinterlassenschaften für die permanente Verwendung eines Wasserfilters entschieden haben.
Den nächsten Morgen wachen wir etwas erledigt von unserem Anreisetag in einem Nebelfeld auf. Feuchte, kühle Luft umströmt unser Zelt, weswegen wir uns besonders viel Zeit lassen uns in die unwirtliche Wolkenlandschaft aufzumachen. Während des Frühstücks verzieht sich die Wolkendecke und mit dem auffrischenden Wind bekommen wir Gelegenheit unsere Ausrüstung einigermaßen trocken zusammenzupacken. Beim Auffüllen werden wir von einem Trailrunner überholt. Hierzu sei gesagt, dass wir uns schon einen Tagesmarsch vom Rande des Nationalparks entfernt befinden, und der nächst mögliche Endpunkt seiner Route noch ca. 40 km entfernt liegt. In so einem Moment kommt man sich dann doch ein wenig unsportlich vor. Frisch gestärkt durch ein paar Schluck Gletscherwasser geht es einen langgezogenen Anstieg durch schroffes Gelände hinauf auf einen Bergkamm. Durch ein großes Geröllfeld steigen wir hinab ins Tal, wo sich die Landschaft wieder schlagartig ändert. Eine geschmeidige Hügellandschaft voller Moos und Heidekraut liegt vor uns. Die Pfade sind gut zu erkennen aber der sumpfige Untergrund erschwert uns ein zügiges Vorankommen. Extrem sumpfige Passagen sind durch große Felsen oder Gitterroste einigermaßen begehbar. Nach einigen Stunden tauchen am Horizont vereinzelt kleine Hütten auf. Kurz bevor wir die Erste erreichen schneidet sich ein reißender Gebirgsfluss durch die Felsen. Eine Hängebrücke aus Holz und an Drahtseilen verlangt uns Trittsicherheit und auch ein wenig Mut ab. Gut, dass wir schwindelfrei sind. An der Hütte angekommen stellen wir fest, in welch ausgezeichnetem Zustand sich die Hütten des Norwegischen Wandervereins im Nationalpark Hardangervidda befinden. Schon nach kurzer Rast erscheinen mehr und mehr Wanderer an der unbewirtschafteten Hütte. Ein gemütlicher Ofen, sowie Sitzgelegenheiten und einige Betten stehen den Besuchern zur Verfügung. Auch sind Lebensmittel- und Brennstoffvorräte in ausreichender Menge und zu guten Konditionen vorhanden. Uns fällt auf, dass wir als Zelttrekker zu einer Minderheit im Nationalpark gehören. Wir verabschieden uns von den anderen Wanderern und machen uns wieder auf den Weg. Vorbei an mehreren privaten Hütten, die wohl hauptsächlich zur Ski-Saison in Benutzung sind, folgen wir einem Flusslauf über wieder sehr felsigen Untergrund. Flussaufwärts führt uns unser Weg in die allmählich beginnende Dämmerung. Unser Zeitfenster um einen geeigneten Lagerplatz zu finden wird immer kleiner. Zum Glück öffnet sich nach Überschreiten der Bergkuppe vor uns ein schmales Tal, wo wir am Ausläufer eines Geröllfelds und wiedermal an einem See, der den vorherigen Flusslauf zu speisen scheint, unser Lager aufschlagen.
Am nächsten Morgen werden wir vom Glockenläuten einiger neugieriger Schafe, welche sich für unsere Trekkingstöcke interessieren geweckt. Während eines ausgiebigen Frühstücks genießen wir den Sonnenaufgang. Der markierte Pfad führt uns gute zwei Stunden an einem großen Bergsee entlang, bis zu einem steilen Geröllfeld. Nach einem steilen und anstrengenden Anstieg erreichen wir ein Hochplateau. Die Landschaft verändert sich hier oben schlagartig. Wir befinden uns oberhalb der Vegetationszone. Die unwirtliche graue Mondlandschaft wird nur von dem strahlenden weiß der Gletscherzungen unterbrochen, welche ein wirklich kaum zu beschreibendes Bild entstehen lassen. Zum Ende der Hochebene erreichen wir den höchsten Punkt unserer Tour. Von hier haben wir einen fantastischen Ausblick über die noch vor uns liegende Route, die sich Tal an Tal hinunter zu einem gewaltigen See in der Ferne schlängelt. Nach einem längeren Abstieg ins Tal, welcher vor allem für unsere Knie eine Belastungsprobe darstellt, errichten wir unser Lager auf einem kleinen, moosbewachsenen Hügel zwischen zwei Seen. Der größere von beiden ist so idyllisch, dass sich Leon dazu hinreißen lässt zwei Züge zu schwimmen. Wie zu erwarten heizt sich ein Bergquell nicht sonderlich stark auf, wenn er erst 500 m zuvor einem Gletscher entsprungen ist, so bleibt das planschen im See ein kurzweiliges Vergnügen.
Am nächsten Tag folgen wir dem durch die vielen kleinen, zulaufenden Bäche anwachsenden Hauptstrom in Richtung des Sees. Vorbei an einigen spektakulären Wasserfällen überqueren wir immer wieder kleinere Bachläufe. In der Ferne lassen sich erste kleinere Birken erkennen. Die Landschaft wird mit jedem Schritt grüner. Um die Mittagszeit herum erreichen wir eine der der DNT-Hütten und machen eine gemütliche Mittagspause auf der Terrasse im Sonnenschein. Der weitere Weg führt uns durch dichte Birkenwälder vorbei an kleineren Hochmooren. Das Rauschen des nun immer größer werdenden Hauptstroms begleitet uns stetig. Der Weg endet in einem Schafsgatter, wo normalerweise eine Brücke den Übergang über eine ca. 10 m breite und 20 m tiefe Schlucht gewährleistet. Aus uns vollkommen unerklärlichen Gründen ist sie jedoch durch ein großes Stahltor verschlossen. Ein Weiterkommen ist hier ohne sich in Lebensgefahr zu begeben nicht möglich. Die einzig ersichtliche Alternative wäre ein Umweg, der uns mindestens 1,5 Stunden zusätzlich kosten würde. Wir entscheiden uns für eine dritte Option und gehen den Wanderweg einige hundert Meter bergauf. An dieser Stelle ist der Fluss so niedrig, dass ein Furten uns gefahrlos möglich erscheint. Mit Hilfe unserer Stöcke suchen wir uns einen möglichst sicheren Weg, durch den schnellfließenden Strom. An mehreren Stellen ist das Wasser über Knie tief und doch deutlich reißender als erwartet. So fällt uns beiden ein großer Stein vom Herzen, als wir das andere Ufer erreichen. Wir schlagen uns querfeldein durch dichtes Gestrüpp hindurch zurück auf den Wanderweg. Da wir uns nun wieder außerhalb des Nationalparks befinden und wir die ersten Bauernhöfe hinter uns lassen wird aus dem spärlich ausgetretenen Wanderweg ein recht solider Forstweg, der uns ein zügiges Vorankommen ermöglicht. Die schnell einsetzende Dunkelheit zwingt uns dazu unser Lager auf einer kleinen Lichtung direkt neben dem Forstweg aufzuschlagen. Beim Abendessen lassen wir die letzten Tage Revue passieren und planen unsere morgige Weiterreise in die Zivilisation.
Am nächsten Tag erreichen wir Røldal, von wo aus die Möglichkeit besteht per Bus zurück nach Oslo oder wie in unserem Fall weiter Richtung Bergen zu fahren.
Abschließendes:
Der Nationalpark Hardangervidda hat uns mit seiner fantastischen Natur und einmaligen Vielfalt nachhaltig beeindruckt und wir werden definitiv wiederkommen. Das Gelände ist sehr anspruchsvoll und so empfiehlt sich vor allem bei größeren Rucksäcken ein paar Wanderstöcke und vernünftiges Schuhwerk (Trekkingstiefel mindestens B besser B/C). Die Temperaturen können bereits im Spätsommer deutlich unter den Gefrierpunkt fallen. Temperaturreserven bei der Bekleidung und besonders bei Schlafsack und Isomatte sind daher unerlässlich. Die beste Reisezeit ist unserer Ansicht nach Anfang Juli bis Mitte September für Hüttenwanderer und Mitte Juli bis Ende August für Zeltwanderer.